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MEINE VIER KATZEN              

Andreas J. Leep    August 2005

( Zuerst gehalten im September 2005 beim 5.Festival Hermatena in Riola, Italien, dann in Stara Morawa 2008)

 

 

Guten Abend, Meine Damen und Herren,

 

         wie Sie gelesen haben ist der Titel meines Vortrags „Meine vier Katzen“ . Das ist natürlich nichts weiter als ein Name. Ich will nicht sagen, dass Namen keine Bedeutung hätten, aber manchmal ist die Bedeutung eine ganz andere, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Vielleicht treffen wir die Katzen später noch einmal wieder.

 

         Das Thema des  Vortrags dagegen sind die Vier Elemente und ihre mögliche oder unmögliche Verbindung mit der Musik.

 

         Als Ausgangspunkt habe ich eine Jazzplatte ausgewählt, die 1973 eingespielt wurde und den passenden Titel trägt „The Elements“.

Wie im Jazz üblich, handelt es sich um eine Kombination von Komposition und Improvisation und, nicht überraschend, ist es ein Stück in vier Sätzen. Die Musik wurde komponiert von Joe Henderson und gespielt von ihm selbst sowie Alice Coltrane, Michael White, Kenneth Nash und Charlie Haden. Diese waren oder sind immer noch bekannte Namen in der Welt des Jazz, nicht nur Virtuosen, sondern auch Menschen mit einem tiefen Respekt für die spirituellen Aspekte der Musik. Wir können nun kurz in die vier Abschnitte hineinhören und natürlich sind Sie alle eingeladen zum Ratespiel „who is who“ bzw. „was ist was“, also welches Musikstück repräsentiert welches Element.

 

( Musikbeispiele 1-4 )

 

         Als ich bei mir einige Freunde raten ließ, waren die Resultate besser als zufällig, aber doch weit von 100% entfernt. Dieses Ergebnis ist leicht zu erklären: zum ersten sind die vier Stücke sehr gut gemacht und erzeugen schon oft die beabsichtigten Assoziationen, andererseits ist Musik eben die abstrakteste aller Künste und kann nicht wirklich einen Gegenstand abbilden. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Musik kann „über“ etwas sein, über Liebe und Hass, über das Universum, sogar über Gott. Wäre es nicht so, würde ich ihr nicht einen großen Teil meines Lebens widmen. Was aber Musik nicht kann, ist Dinge oder Ideen im strengen Wortsinn darstellen wie zum Beispiel Malerei oder Literatur dies können.

 

         Natürlich spreche ich hier ausschließlich über reine Instrumentalmusik. In Musik gesetzte Texte sind eine ganz andere Sache, aber nicht Thema hier.

 

         Lassen Sie mich ein anderes Beispiel geben, das Ihnen vielleicht vertraut ist.

 

( Musikbeispiele 5-7 )

 

 

         Wie also wissen wir nun „worüber“ ein gegebenes Musikstück ist? Manchmal erhalten wir Hinweise wie z. B. den Kuckucksruf um an Frühling zu denken. Oder wir können es mit uns bekannter Musik vergleichen und es so einordnen als Kirchenmusik, Militärmusik usw.

 

         Meistens aber, wenn ein Stück wirklich „über“ etwas sein soll, d.h. wenn es sich nicht um “absolute Musik“ handelt, die nichts darstellen soll als sich selbst, wissen wir es, weil wir es gesagt bekommen. Normalerweise haben wir einen Titel, und dieser dient dazu, unsere Gedanken und Gefühle in eine bestimmte Richtung zu lenken und uns so zu helfen, das gehörte besser zu verstehen. Oder auch nicht.

 

         Warum sage ich „oder auch nicht“? Weil Titel oft willkürlich gewählt werden und uns auch von dem wegführen können was wir gerade tatsächlich hören.

 

         Stellen Sie sich vor, ich wäre ein zynischer, geldgieriger Komponist, der gerade ein viersätziges Werk vollendet hätte, inspiriert von den sehr unterschiedlichen Charakteren meiner vier Katzen. ( In Wahrheit habe ich gar keine vier Katzen, aber ich weiß, wie verschieden und wie inspirierend Katzen sein können. ) Da sitze ich also nun und überlege: „Es gibt viele Menschen, die Katzen nicht mögen, vielleicht sollte ich einen allgemeineren oder intellektuelleren Titel wählen . . . Verkaufszahlen erhöhen . . . wie wär’s mit Die 4 Elemente?“

 

         In der Tat kann fast jedes viersätzige Musikstück „Elemente“ genannt werden oder „Jahreszeiten“ oder was auch immer. Sogar „Katzen“. Bis hierhin sieht es um eine überzeugende Verbindung von Elementen und Musik nicht gut aus.

 

         Vielleicht ist eine andere Herangehensweise nötig; betrachten wir also einmal etwas näher die klassische Lehre von den vier Elementen.

 

         Diese wurde erdacht von dem großen vorsokratischen Philosophen Empedokles ( ca. 492 – 432 v. Chr.).

 

         Frühere Denker hatten ein einziges Element als zugrunde liegende Substanz von Allem angenommen. Thales z. B. hatte das Wasser als solche betrachtet, während Anaximenes meinte, Luft in unterschiedlichen Dichtegraden bilde die materielle Welt.

 

         Empedokles ging über seine Vorläufer weit hinaus, indem er ein ausgearbeitetes System vorlegte: vier Elemente: Erde, Wasser, Feuer und Luft, vereint und getrennt durch die beiden Kräfte Liebe und Streit, selbst ewig und unveränderlich und doch Substanz der unendlichen Vielfalt von allem was im Kosmos existiert. In ihrer Universalität wie auch in ihrer schieren Schönheit und Eleganz eine kaum zu übertreffende Theorie!

 

         Es sollte dabei beachtet werden, dass die Begriffe Erde, Wasser, Feuer und Luft nicht wörtlich zu nehmen sind. Empedokles war Philosoph, kein Chemiker und er lebte in einer vorsokratischen also voraristotelischen also vorwissenschaftlichen Zeit. Seine Elemente waren idealisierte Substanzen, nicht in reinem Zustand vorfindbare Stoffe.

 

         „Alles was im Kosmos existiert“ müsste natürlich Klang, oder genauer gesagt Musik, mit einschließen. Leider erwähnt Empedokles weder das eine noch das andere, beide scheinen außerhalb seiner Betrachtung zu liegen. Die beiden Paare verschiedener Eigenschaften „heiß – kalt“ und „trocken – feucht“, aus der klassischen griechischen Medizin übernommen zur Charakterisierung der Elemente bzw. ihrer Relationen ( sei es von Empedokles selbst oder kurz nach ihm von seinen Schülern ) haben auch nichts mit Klang zu tun.

 

         Nun gab es ja im antiken Griechenland eine Gruppe von Denkern, die sich ausgiebig mit Klängen beschäftigten: die Pythagoreer. Diese maßen z.B. Saitenlängen und deren Proportionen im Verhältnis zu den Tonhöhen und verwendeten all dieses als Modell eines harmonischen Universums. Aber so hoch die Pythagoreer auch Proportionen, also letztendlich Zahlen, schätzten, so wenig scherten sie sich um materielle Substanzen und also gibt es keine wirkliche Verbindung zwischen ihnen und Empedokles. Was die Griechen damals nicht entwickelten und auch nicht entwickeln konnten, war eine zusammenfassende Theorie von Materie und Mathematik.

 

         Der Lösung des Problems „Vier Elemente und Musik“ sind wir mit diesem Exkurs in die Antike immer noch nicht näher gekommen.

 

         Aber so aussichtslos ist die Sache doch nicht, denn mögen auch die Elemente auf ewig unveränderlich sein, die Musik ist es nicht. Sie hat sich besonders im 20. Jahrhundert rasant gewandelt und ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Das klassische tonale System, das jahrhundertelang so fruchtbar gewesen war, war schon vor 1900 an die Grenzen seiner Enwicklungsfähigkeit gelangt und so machten sich Komponisten wie Schönberg und andere an die Erforschung neuer Kompositionsweisen um die Stagnation zu überwinden.

 

         Einer der kühnsten Innovatoren war der italienische Futurist Luigi Russolo. 1913 veröffentlichte er sein Manifest „L’arte dei rumori“ ( Die Kunst der Geräusche ), in dem er die Emanzipation des Geräuschs in der Musik forderte, und er erfand auch gleich die  Maschinen, um dies zu bewerkstelligen: die „Intonarumori“. Er war zu seinen Lebzeiten nicht wirklich erfolgreich, aber seine Anregungen wurden von anderen aufgegriffen ( z.B. von Edgar Varèse ) und schließlich zeigte John Cage, dass jedes, aber auch jedes akustische Phänomen – einschließlich totale Stille – in der Musik verwendet werden kann.

 

         Diese Veränderungen haben faszinierende neue Klangwelten erschlossen, die uns einer Antwort auf unsere Frage näher bringen.

Betrachten wir dazu zwei Meisterwerke aus zwei um Jahrhunderte auseinander liegenden Epochen: G. F. Händel schrieb seine berühmte „Wassermusik“ 1715. Großartige Musik, aber der Titel bezieht sich nicht auf die Komposition selbst. Sie war ein Auftragswerk für Georg I. anlässlich einer Schiffspartie auf der Themse, und die Musiker spielten sie auf einem flachen Kahn neben dem königlichen Prachtboot.

 

         John Cage schrieb seine „Water Music“ 1952 und benutzte, neben dem Klavierpart, realexistierendes Wasser zur Klangerzeugung.

 

         Womit bewiesen ist, dass es geht.

 

         Ich selbst habe vor einigen Jahren an einem verwandten Projekt gearbeitet. In einer abgelegenen Gegend im Südwesten Polens konstruierte ich Saiteninstrumente, die von Naturkräften „gespielt“ wurden, ohne weiteres Eingreifen meinerseits. In diesen Arbeiten ging es allerdings nicht um Elemente, sondern um Energien: nicht einfach Wasser, sondern schnell fließendes Wasser, nicht Luft, sondern Wind, dazu Sonnenenergie. Das macht zusammen drei. Es ging mir nicht um Vollständigkeit, also habe ich dort nicht mit tektonischen Verschiebungen gearbeitet – Erdbeben sind in Polen ohnehin selten – und wenn es auch in jenen Bergen häufig heftige Gewitter gibt, sind diese einfach viel zu gefährlich, um sie mit Saiten spielen zu lassen. Nebenbei angemerkt gilt das auch für Katzen. 

 

( Musikbeispiele )

 

         Mit ähnlichen Ansätzen können Klänge mit den Elementen selbst erzeugt werden. Neue Luftbetriebene Instrumente, Wasserschalen, klingende Steine usw. sind in der zeitgenössischen Musik fast alltäglich. Feuer einzubeziehen scheint zunächst schwierig, aber schon 1777 beschrieb B. Higgens den Klang, den er mit einer Gasflamme in einem Ende einer langen Glasröhre erzeugte. 1875 baute Eugène Frédéric Kastner eine Feuerorgel nach dem selben Prinzip und heute führt Michel Moglia eindrucksvolle Klang-Licht-Performances mit einer ähnlichen Technik auf. Klingt super, ich hätte beim Ausprobieren fast meine Wohnung abgefackelt.

 

( Musikbeispiel )

 

         Die Klänge sind also alle da. Was bräuchte es noch für eine „Symphonie der vier Elemente“? Einen guten Komponisten und gute Musiker, damit die Klänge nicht einfach vorgeführt sondern gestaltet werden, auskomponiert, verwoben zu Bedeutung und Schönheit, mit der Erinnerung an Empedokles’ Gedanken von Liebe und Streit, Trennung und Vereinigung.

 

         Manchmal erscheint mir all dieses so offensichtlich, dass ich mich frage, wieso es nicht schon längst gemacht worden ist. Vielleicht ist es gemacht worden, ich habe im Internet gesucht, bisher ohne Erfolg, werde weitersuchen. Wenn jemand von Ihnen Kenntnis über ein solches Werk hat, bitte lassen Sie es mich wissen. Ich würde es so gerne hören.

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Der Geist der Natur in

Stara Morawa und irgendwo

Von Marek Zmiejewski

Köln den 27.10.1999

 

 

Um den Sinn des Titels "Der Geist der Natur in Stara Morawa und irgendwo" zu erläutern, braucht man nur zwei Schritte. Erstens zu erklären, was die einzelnen Begriffe bedeuten, und zweitens, welcher Sinn entsteht aus ihrer Verbindung in einem Satz. Wir beginnen am Ende des Satzes. Irgendwo steht für das allgemeine Überall. Es sei Überall, oder wenigstens es soll so sein, wie es exemplarisch in Stara Morawa der Fall ist.  Die Ereignisse in Stara Morawa, einem Dorf in Schlesien, in der Grafschaft Glatz, im heutigen Polen sollen ein exemplum für das Verhältnis von Geist und Natur statuieren. Es handelt sich dabei nicht in erster Linie um die politische, soziale, oder wirtschaftliche Betrachtungsweise, sondern um eine philosophische. In ihr soll sich das wahre Gesicht des Geistes der Natur zeigen. Seit dem Beginn unsrer europäischen Kultur in der griechischen Antike unterscheiden wir jedoch das Naturhafte (das, was aus sich selbst und durch sich selbst entsteht - die Physis,) von dem, was durch die Menschen hergestellt worden ist, von der Techne. Wir trennen das, was ist, in Geist und Natur. Die Unterscheidung von Geist und Natur setzt eine Trennung beider Begriffe voraus. Mithin eine geistlose Natur und ein naturloser Geist. Geistlose Natur ist eine tote Materie, die man beliebig nutzen kann. Ein Geist ohne Natur ist ein abstrakter Gegenstand der Forschung, ein inhaltsloses X, das beliebig bestimmbar ist und jederzeit zur Verfügung steht. Die Trennung der beiden Begriffe macht durch doppelte Beraubung: der Natur von der Ideen und des Geistes vom Sein, das Wesen unserer Wirklichkeit aus. Sowohl mit dem Geistigen wie mit dem Naturhaften, also mit dem Seienden im Ganzen, ist es Nichts. Wir leben, nach Nietzsche, im Zeitalter des Nihilismus.

 

Die Grundlage der europäischen Kultur bildete seit ihrem Anfang (in Griechenland) die Einheit von Wahrem, Schönem, und Gutem. Diese Einheit machte den Anfang von Philosophie, Kunst und Politik aus. Aus ihr ergibt sich die Untrennbarkeit der drei Disziplinen, die sie pflegen. Diese Pflege wird lateinisch Kultur genannt. Erst im XIX. Jh. hatten die modernen Wissenschaften. der Philosophie das Monopol auf die Wahrheit abgerungen. Das, was sie erforschen, das Wahre, ist weder schön noch gut, sondern objektiv-neutral. Es bringt keine Verpflichtung mit sich, ganz im Gegenteil, es steht uns zur Verfügung. An der Wahrheit geht das Schöne und das Gute zugrunde. Wir können das, was wir erkennen, nicht schätzen, weil die Lebenszellen, die Muskeln und DNA-Kombinationen sich nicht lieben lassen. Kein wissenschaftliches Experiment ist imstande, die Existenz von Wahrem und Gutem zu entdecken. "Objektiv" heißt es gerade, frei von subjektiven Urteilen, von Gefallen und Mißfallen, von der Wertung und Abwertung. "Das, was wir erkennen, nicht zu schätzen und Das, was wir uns vorlügen möchten, nicht mehr schätzen zu dürfen - ergibt einen Auflösungsprozeß". Die aktuellen Machtinteressen entscheiden über die an sich wertlose Welt. Mit der Welt an sich ist es nichts. Der radikale Nihilismus führt zum Entstehen von totalitären Systemen. Seine sanftere Form für die westeuropäische Wohlstandsgesellschaft beschränkt sich auf die Formel: "Es ist beliebige Pluralität der Wahrheiten und Ideen erlaubt, die die Existenz dieser Gesellschaft, die Wohlstand garantiert, nicht gefährdet". Dieser sanfte Nihilismus wird Postmoderne genannt. Eine postmoderne Gesellschaft soll angeblich über Mechanismen verfügen, die das regulieren, was erlaubt und was unerlaubt ist. Dies nennt man öffentlichen Diskurs. Die Anwesenheit in diesem Mechanismus entscheidet über die Existenz von etwas in gesellschaftlicher Kommunikation, mithin darüber, ob etwas ist oder auch nicht ist. Darüber, was Kunst ist, entscheiden die Mechanismen des Kunstmarkts.
Über den wissenschaftlichen Wert entscheidet die Zahl der Veröffentlichungen. Über den Sinn der politischen Handlungen entscheidet der Wahlerfolg. Dementsprechend gestaltet jetzt der Kunstmarkt die ästhetischen Werte, über Wahrheit verfügt der akademische Betrieb, über Politik entscheiden Wahlumfragen. Zwei Bleistiftstriche erreichen auf der "Documenta" einen höheren Preis als die Werke von Künstlern, die die Kultur ganzer Nationen geprägt hatten.

 

Kulturmensch zu sein, muß heute bedeuten, ein bisschen Philosoph, Politiker und Künstler in einem zu sein. Die Philosophie bietet eine kompromisslose Beschreibung der Welt, wie sie ist und wie sie sein sollte. Kunst zeigt die Wahrheit sinnlich und sichtbar am Ort und in der Zeit. Politik verwirklicht die Ideale des Zusammenlebens der Menschen in einer Gemeinschaft. Statt der Erfüllung der Ansprüche von Zentralmärkten für Kunst und Medien, statt des Wettbewerbs um die Vorherrschaft auf den globalisierten Weltmärkten, bildet vielmehr ein Versuch, sich als existierender Mensch unter anderen Menschen und in der menschlichen Umgebung, zu finden die wahre und revolutionäre Aufgabe der Kultur heute. Eine Chance dafür bieten die Orte, die von dem nihilistisch-postmodernen Betrieb nicht ergriffen wurden, die s. g. Provinz.

 

Das erste Kunstseminar in Stara Morawa im Jahre 1994, an dem alles begann, trug den Titel "Kunst ohne Markt". Es bot für die jungen Künstler aus Polen und Deutschland die Gelegenheit, ihre eigene Sicht der Welt ohne Druck des Marktes und der Öffentlichkeit zu präsentieren.

 

"Für unsere eigene künstlerische Arbeit bedeutet dies den Versuch, uns möglich offen und ohne vorgefertigte Konzepte von der Andersartigkeit dieser sehr speziellen Gegend und durch den intellektuellen und künstleri­schen Austausch mit den anwesenden polnischen Künstler/innen anregen zu lassen."Dem Seminar "Kunst ohne Markt" folgten andere: "Wege der Ideen zur Wirklichkeit in einer orientierungsloser Zeit", "Arbeit, Traum und Regen", "Stadt, Land, Fluß". Alle diese Seminare beinhalteten einen Versuch einer künstlerischen Annäherung an die schlesische Landschaft, schlesische Tradition, an das Deutsch-Polnische, an das Europäische, an das gemeinsame Menschliche. Das Erstrebte bildete den unausgesprochenen Hintergrund für alle künstlerischen Aktionen. Es ging darum, das hintergründig Erstrebte sichtbar und sinnlich-anwesend zu machen. Das Schön-scheinende geht uns als ganze Person an. Dieses Angehen schafft weder theoretisches Wissen noch praktische Einstellung. Zum theoretischen Wissen besitzen wir noch einen Distanz, wir können immer noch unsere Stellung ändern, wir haben noch keine Entscheidung getroffen, wir suchen Gründe dafür oder dagegen. Wir sind als Person noch nicht bei der Sache, weil wir davor stehen. Unsere Sinne sind nicht affiziert. In praktischer Einstellung sind wir schon mit unserer Vorstellung über die Sache selbst hinaus, weil wir das Angetroffene nach unseren Vorstellungen richten wollen. Zwischen der theoretischen und praktischen Einstellung oder über beide hinaus liegt die ästhetische Weltbetrachtung. Sie ist das Wohlgefallen ohne theoretisches und praktisches Interesse. Im Gegensatz zur theoretischen Betrachtung läßt sie das Einzelne und Sinnliche sehen, jedoch so, daß das Sinnliche (im Gegensatz zur praktischen Einstellung) das Allgemeine und Ganze scheinen läßt.
Deswegen ist das Sinnliche, das Naturhafte, das Gegenständliche in der Kunst nie nur eine Farbe, eine Nachbildung, eine Fotografie der Wirklichkeit, sondern immer schon ein Durschscheinen des Geistigen, des Allgemeinen, des Ganzen. Es verweist über ihre Darstellungsmittel hinaus. "Es ist noch nicht reiner Gedanke, aber seiner Sinnlichkeit zu Trotz auch nicht mehr bloßes materielles Dasein, wie Steine, Pflanzen und organisches Leben, sondern das Sinnliche am Kunstwerk ist selbst ein Ideelles, das aber, als nicht das Ideelle des Gedankens, zugleich als Ding noch äußerlich vorhanden ist" bestimmt Hegel in der "Ästhetik"  den ontologischen Status des Kunstwerks.

Deswegen läßt sich das Schwarze Quadrat, die Klomuschel oder der Fettklotz als Kunstwerke nur als Verweisendes auf den geistigen Kontext der gesamten Kunstgeschichte verstehen. Wir sind so von der Kunst gebildet, daß wir mit der Kunsteinstellung, mit Kunsterwartung auftreten, die nicht etwa erst von einem Kunstwerk erweckt werden müssen, sondern uns genügt eine Deutung auf das Künstlerische, um unsere theoretische, bzw. praktische Einstellung in eine ästhetische zu ändern. Diese Deutung wird z. B. durch Bilderrahmen, durch Aufhängung in einer Galerie oder in einem Museum vermittelt. Manchmal reicht schon eine Aufstellung von etwas an einer ungewohnten Stelle, ein Pfeil in einer reinen Naturlandschaft. Sogar die abstrakte Malerei verweist darauf, daß sie nicht verweisen will. Ihre Flecken und Linien, Farbenflächen und Schattierungen wollen dennoch nicht als solche gelten, sondern als Elemente eines Kunstwerks. Den erkämpften Kredit des Vertrauens bei dem Publikum nutzend, nahm sich die Kunst die Freiheit, die vorher bestehenden Zusammenhänge zwischen der sinnlichen Form der Darstellung und ihren Inhalten zu zerbrechen. Da diese Verbindung nicht mehr verständlich geworden war, entstand die Notwendigkeit, sie zu erstellen. Es ist die Geburtstunde  der Kunstkritik. Jeder Künstler braucht eine theoretische Deutung, jede Kunstrichtung ein Programm oder Manifest. Aus dieser notwendigen Verknüpfung des Künstlers mit seinen Kritikern entstand der Kunstmarkt. Derjenige Künstler erreicht auf ihm einen Stellenwert, dessen Kritiker sich auf dem Markt der Ideen durchsetzen.

 

Dieser Markt der Ideen ist in postmodernener Zeit nihilistisch geworden. Nur selten nimmt er Rücksicht auf die 2500 Jahre Ideengeschichte in unser europäischen Kultur. Das, worauf die Kunstwerke verweisen sollen, ist an sich selbst zweifelhaft. Es scheint, daß die Kunst nur als eine Illustration des laufenden Kunstbetriebs noch ihre Berechtigung hat. Wozu ist sie noch überhaupt da, wenn die s. g. Kunstkenner bestimmen, was sie zu sagen hat?
Zum Verstehen und Empfinden der modernen Kunst braucht man kunstkritische Kennerschaft, Bildung und Gelehrsamkeit, die jedoch nicht "für das Einzige und Höchste des Verhältnisses gehalten werden, welches sich der Geist zu einem Kunstwerke und zur Kunst überhaupt gibt. Denn die Kennerschaft, ... kann bei der Kenntnis bloß äußerlicher Seiten, des Technischen, Historischen usw., stehenbleiben und von der wahrhaften Natur des Kunstwerks etwa nicht viel ahnen oder gar nichts wissen". 
Der Begriff hat nicht die Vorstellung überflügelt, sondern ist im Geschwätz der Pseudotheorien zugrunde gegangen. Sein von Hegel erträumter Sieg würde das Ende der Kunst und der Religion bedeuten, denn Gott als höchste Formel der Dialektik des Absoluten läßt sich zwar denken, aber nicht anbeten. Seine künstlerischen Kultformen z.B. die schlesischen barocken Figuren wären nur Ausdruck der Naivität, nicht der reifen Verehrung. 

 

Das Kunstschöne, das Ästhetische ergibt sich, nach Kant, aus dem freien Spiel des Verstandes mit Einbildungskraft. Es illustriert keine Theorie, sondern versinnlicht das Allgemeine, das Ganze, nämlich so, daß es dadurch zuallererst durchscheint und gedeutet wird. So kann man mit Heidegger sagen, daß Kunst die Welt stiftet. Sie läßt diese Doppeldeutigkeit ihrer Gegenstände stehen. Bezieht sie sich auf das Seiende im Ganzen, auf das gemeinsam Menschliche in der Form, daß diese uns angeht, dann gehört sie ursprünglich zum Wesen des Menschen wie Philosophie und Religion. Künstlerisch sind wir als Menschen in der Welt.

 

Die Installationen von Andreas J. Leep standen in einer relativ unberührten Landschaft, am Bach, am Hof, am Baum. Sie waren unauffällig fremd in der Landschaft. Man fragte sich, wozu sind sie da? Es waren verschiedene Drähte, die durch die Luft, Wasser, Sonne und Erde in Schwingungen gebracht wurden. Ihr Tun war, Geräusche zu erzeugen.
Man konnte sie also sehen und hören. Als Teile dieser Landschaft lebten sie in ihrem Rhythmus. Der steigende Wind, die aufgehende Sonne, eine kleine Wasserwelle setzte sie in Bewegung. Sie schwiegen auch in der Stille. Sie standen da, um das Staunen darüber zu erwecken, daß die Natur lebt. Das Wirken ihrer Elemente: Sonne, Luft und Wasser, wurde für unsere Sinne sichtbar bzw. hörbar. Sie standen als bewußt hergestellte Objekte, deren Sinn diese Versinnlichung der Elemente ausmachte. Sie wiesen durch ihre ziellose Technik auf ihren einzigen Bezugspunkt: auf die organische und nicht zerstörte Harmonie der Natur und Kultur in der Grafschaft Glatz. Nach Erfüllung dieser Aufgabe verschwanden sie in der Natur.

Die Installationen zeigten also Anwesenheit des Geistes in der Natur exemplarisch und sichtbar in Stara Morawa, in einem Dorf, das irgendwo in Schlesien liegt, aber auch überall sein kann. 

 




„Zentrum gegen Vertreibungen“

für Polen und Deutsche

Von Marek żmiejewski

Nach mehr als 50 Jahren ist es scheinbar an der Zeit, die Ereignisse des Krieges neu zu bedenken. Es entsteht dabei die Frage, ob die öffentlichen Debatten eine solche Reife erreicht haben, die es ermöglicht, die bis jetzt verschwiegenen Tabuthemen, wie der Bombenkrieg, Vertreibung usw. vor der internationalen Öffentlichkeit zu bedenken, oder ob die national erstarkten Deutschen zu prüfen versuchen, ob sie sich erlauben können, eine Korrektur des Schemas Opfer und Täter des Krieges vorzunehmen? Dass die erste Vermutung nicht stimmt, bezeugt die Tatsache, dass die unzähligen Artikel und Talkshows zum Thema nur die längst bekannten Fakten und Stellungnahmen aus der Versenkung in der Vergessenheit herausholen, wobei ihre Autoren und Vertreter eine oft erschreckende Inkompetenz und Unbefangenheit zur Schau stellen. Es fehlt ihnen vor allem die Betroffenheit und die Kenntnis der vorherigen Debatten. Die zweite Vermutung trifft eher zu, wenn man bedenkt, dass Deutschland die Geschwindigkeit und die Richtung der europäischen Entwicklung anzugeben anstrebt. Nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit soll erobert werden. Es drängt sich auch eine dritte Vermutung auf, dass die Volksparteien nach den letzten Wählerreserven greifen und versuchen, sie dadurch zu gewinnen, dass sie die Tabuthemen der Geschichte öffentlichkeitsfähig machen. Die deutsche Öffentlichkeit wurde seit Jahren von Medien geschult, die Fragen der Moral, Geschichte, und der Gesellschaft ausschließlich unter ökonomischen und machtpolitischen Gesichtspunkten zu betrachten. So ist auch die Idee „des Zentrums gegen Vertreibungen“ sofort national und international eine machtpolitische Angelegenheit geworden. Die meisten Befürworter und Gegner des Projekts sind selbst keine Vertriebenen, denen es darum geht, das Leiden von Millionen Menschen aus Achtung und Betroffenheit zu dokumentieren, sondern die Politiker treten stellvertretend für die Betroffenen und ihre Nachkommen auf.  Sie vertreten die deutsche bzw. polnische Stellung zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges und seiner Folge - der Vertreibung, als ob diese Stellungnahmen offensichtlich fertig vorlägen und zur Verfügung stünden. Wie tapfer ist der polnische Journalist Adam Krzeminski! – er verteidigt allein gegen mehrere Deutsche auf den öffentlichen Bühnen die polnische Haltung zum Bau des Zentrums gegen Vertreibungen. Er ist selbst kein Vertriebener, genauso wie Frau Erika Steinbach, der er Paroli bietet. Beide geben an, genau zu wissen, und vertreten es persönlich, was die Polen und die Deutschen zum Thema sagen wollen und zu sagen haben.

 

Es geht aber darum, die volle Dimension der Vertreibung nicht aus den Augen zu verlieren. Eine Teilwahrheit ist zugleich zur Hälfte eine Unwahrheit. Beginnt man damit, dass „Mehr als fünfzehn Millionen Deutsche aus ganz Mittel-, Ost-, Südeuropa in der Mitte des 20. Jahrhundert aus ihrer Heimat vertrieben wurden“, dann erweckt man bei dem Leser den Eindruck, dass die Volker von „Mittel-, Ost-, Südeuropa in der Mitte des 20. Jahrhunderts“ der friedfertigen deutschen Bevölkerung ein unbegründetes Unrecht angetan hatten. Sie gehören also zu den „Tätervölkern“. Die Vertreibung käme aus dem heiteren Himmel. In den meisten nostalgischen Büchern über die verlorenen Ostgebiete wird die deutsche Bevölkerung als friedlich, arbeitsam usw. dargestellt. Es wird meistens verschwiegen, dass auch in diesen Gebieten Nazis ihre Wahlsiege gefeiert hatten, dass aus diesen Gebieten Hunderttausende Menschen nichtdeutscher Abstammung vertrieben und Tausende Intellektuelle ermordet worden waren, dass auch dort Synagogen brannten und Zwangsarbeiter ihre Sklavenarbeit leisten mussten. Es gibt also keinen Unterschied zwischen den Vertriebenen und dem Rest der deutschen Bevölkerung in Bezug auf die Verantwortung für das Geschehen im Zweiten Weltkrieg. Warum also grade die Vertriebenen herausheben und nicht das Verhalten der gesamten deutschen Bevölkerung im und nach dem Krieg zu dokumentieren?

 

Es scheint aus einer rein politischen Perspektive legitim zu sein, ein bestimmtes geschichtliches Thema aus seinem Gesamtzusammenhang herausgreifen, z. B. kann man von Opfern des Nürnberg-Tribunals sprechen, von deutschen Verlusten an der Front, von deutschen Opfern des Polen-Feldzugs. Wenn die Polen Denkmäler für ihre gefallenen Soldaten aufstellen, dann hätten auch die Deutschen ihre Opfer zu beklagen und zu ehren.

 

Es wird mit Stolz behauptet, dass die „Moral“ der deutschen Bevölkerung nicht durch Bombenhagel zerstört wurde. Sie blieb ihrem Führer und seiner Ideologie treu. Diese „Moral“ wurde auch früher nicht durch die Eroberungszüge der Wehrmacht, durch die planmäßige Erschießung von Intellektuellen, durch die Vertreibung von Millionen Menschen aus dem Deutschen Reich, auch nicht durch Vernichtung der Juden erschüttert. Irgendwann kehrte der Krieg mit seinen Grausamkeiten zu seinem Ursprungsland zurück, machte keinen Halt vor Schlesien, Pommern, Masuren und verbreitete seine Schrecken nicht zuletzt wegen der „ungebrochenen Moral“ der vertriebenen und nicht vertriebenen deutschen Bevölkerung noch ein Jahr lang. Diese „ungebrochene Moral“ der Deutschen hatte auch Einfluss auf die Zustimmung der Alliierten zu Verschiebung der Grenzen und Trennung der Völker, mithin zur Vertreibung nach dem Krieg. Es besteht kein Grund, sagt die polnische Seite heute, der Schicksale der deutschen Vertriebenen zu gedenken, besonders dann nicht, wenn die Vertreibung noch zusätzlich als gewollte Handlung der Polen dargestellt werden sollte.

 

Es stehen also zwei entgegengesetzte Haltungen, die deutsche und die polnische, wie These und Antithese gegenüber. Die Politik versucht einen Kompromiss zwischen beiden zu finden, damit die jeweils andere Seite durch den „Beitrag zur Geschichtsverarbeitung“ und den betonten „Willen zur Versöhnung“ nicht verletzt wird. Jedoch dieser politischen Kompromiss-Dialektik steht die philosophische Hegelsche Dialektik gegenüber, die besagt, dass das Entgegengesetzte seine Wahrheit nicht im Kompromiss, sondern in einer Synthese findet. Nicht im Entweder-oder sondern im Sowohl-als-auch, also in einer Haltung, die die Spannung der beiden nationalen Stellungnahmen hält, d.h., sichtbar macht und aushält, d.h., überwindet. Zugleich muss eine solche Synthese wirklicher, existenter und konkreter sein als ihre Teilwahrheiten. Sie muss also über-national sein, aber zugleich national, d.h., vertretbar durch die Polen und Deutschen. Gibt es eine solche Haltung? Ja, es gibt sie seit Jahrhunderten, sie wurde nur durch die verblendete Sicht der Nationalstaaten missachtet und verachtet. Es gab und es gibt Millionen Menschen, die deutsch-polnisch oder polnisch-deutsch sind. Die Menschen, die in beiden Traditionen und in beiden Sprachen zuhause sind. Das sind die polnischen Bürger deutscher Abstammung in Schlesien und Masuren, die in Polen aufgewachsen sind, die polnische Familienangehörige und Nachbarn haben, dass sind die Spätaussiedler in Deutschland zum Teil polnischer Abstammung mit ihren Ehepartnern und in Deutschland aufgewachsenen Kindern. Sie tragen „zwei Seelen in einer Brust“.  Für sie erscheint die politische Auseinandersetzung zwischen Berlin und Warschau abstrakt und einseitig, weil sie die eine Seite bevorzugend die andere verschmäht. Statt Versöhnung stiftet sie Konflikte.

 

Warum weckt die Idee eines Zentrums gegen die Vertreibungen noch heute Emotionen auf? Die meisten Mitstreiter auf beiden Seiten wurden selbst weder vertrieben noch hatten sie Vertreibung auf irgendwelche Weise verschuldet. Woher also die Emotionen sechzig Jahre danach? Die zweite und die dritte Generation nach dem Krieg, allein wegen der Gnade der späteren Geburt, trägt keine persönliche, auch keine politische und moralische Verantwortung für damaliges Geschehen. Mithin wäre nichts einfacher als gemeinsam ein Denkmal für die Leidenden im Zweiten Weltkrieg zu errichten. Die Mitstreiter, obwohl sie sich in einer komfortablen Lage der Spätgeborenen befinden, wollen aber die polnische bzw. die deutsche Sicht vertreten.

 

Die Begriffe des Deutschtums und des Polentums bleiben jedoch mit den alten Konflikten belastet, weil in ihren Namen das damalige Geschehen verlief. Es kommt also darauf an, die Handlungen der Täter; der deutschen Naziregierung oder der polnischen Kommunisten, nicht als repräsentative Handlungen, nicht als stellvertretend für die Deutsche bzw. Polen anzunehmen. Es gab doch Deutsche, die die Hitlersiege nicht gefeiert hatten, es gab auch Polen, die mit dem Siegesrausch der Kommunisten nicht einverstanden waren! Die Polen, die den Krieg erleben mussten, haben die Deutschen selten differenziert wahrgenommen, weil diese alle im Dienste des Unrechtsstaates standen. Ein ziviler Angestellter des Arbeitsamtes beteiligte sich an der Menschenjagd genauso wie ein Wehrmachtsoldat, der  die Transporte der Zwangsarbeiter überwachte. Ein deutscher Bauer nutzte die Arbeitskraft der Untermenschen, als ob er an die Rassentheorie der Nazis glaubte. Die deutsche Bevölkerung wurde nach dem Krieg mit den rekrutierten Miliz-Söldnern der durch Stalin eingesetzten kommunistischen Regierung und den demoralisierten schnellen Reichtum suchenden Elementen aus ganz Polen konfrontiert. Die Angehörigen der Organe der legitimen polnischen Vorkriegsregierung wurden gejagt, verhaftet, gefoltert, in Schauprozessen verurteilt, verbannt und ermordet. Die Grenzverschiebung und Aussiedlung der Deutschen waren nicht die polnischen Ideen, sondern sie wurden durch die Alliierten beschlossen. Ausgeführt wurden sie durch die demoralisierten Diener der neuen Machthaber.  Die deutschen Vertriebenen  hatten also die Polen undifferenziert erlebt, weil die polnischen Vertriebenen erst nach der ersten grausamen Phase der „Begegnung“ angesiedelt wurden. Eine kritische Sicht auf sich selbst und auf die Kriegsgeschichte ermöglicht also, die Verbrecher der „deutschen“ Nazis während des Krieges und des „polnischen“ Mobs während der „Aussiedlung“ der Deutschen gemeinsam zu verurteilen, statt die Schuld auf die Deutschen, bzw. auf die Polen im Allgemeinen zu schieben.

 

Eine gemeinsame Haltung zum „Zentrum gegen Vertreibungen“ sollte nicht abstrakt inter-national sein, als ob sie nicht die Deutschen und Polen betreffe, sondern gerade in ihrem Kern deutsch-polnisch zugleich. Eine Ebene für die Entstehung dieser Haltung bietet der neue europäische Gedanke. Die Initiatoren des Projekts geben an, die europäische Idee in das Konzept eingebaut zu haben. Wenn aber geschrieben wird, dass das Zentrum in „Mitteldeutschland“, in Berlin gebaut werden soll, dann widerspricht diese Begrifflichkeit einer vorgegebenen europäischen Haltung. Der Streit wird nicht dadurch gelöst, dass er auf der europäischen Bühne ausgetragen wird. Ein Zentrum gegen Vertreibungen wird erst dann seinen Beitrag zur Versöhnung leisten, wenn es von beiden Seiten so angesehen wird, dass das Leiden in erster Linie den Menschen als Menschen betrifft, erst dann ihn als Polen oder als Deutschen. Karl Jaspers hatte 1945 die Bedingung für Anerkennung der Deutschen als Mitglied der Völkergemeinschaft als vierfaches;  juristisches, politisches, moralisches und metaphysisches Schuldbekenntnis formuliert. Die drei ersten gründen in der metaphysischen Dimension. Nach Jaspers bleiben nämlich die Animositäten auch dann ungelöst, wenn die moralischen, politischen und juristischen Beschuldigungen nicht mehr greifen. Besonders abwegig klingt für uns, in unseren postmodernen Zeiten, die Hervorhebung der Notwendigkeit, die metaphysische Dimension zu achten. Sie betrifft aber den Menschen als Menschen, d. h., den Menschen in mir und in den Anderen. Erst als Mensch bin ich ein Individuum, ein Bürger und ein Subjekt meiner Handlungen. Erst als Mensch und nur als Mensch kann ich Pole oder Deutscher sein. Wenn ich die Würde und Souveränität des Partners nicht achte, erwecke ich  auch dann Misstrauen, wenn meine Forderungen moralisch, politisch und juristisch korrekt sind. Ich appelliere dann nicht an die Solidarität der Menschen als Menschen im Vertrauen auf die anderen, dass sie dies entsprechend empfinden werden, sondern durch meine Ansprüche misstraue ich ihnen, dass sie zum freien Entschluss fähig sind. Jeder ehrlich gedachte Beitrag zur Versöhnung muss mit den Worten der polnischen Bischöfe beginnen: „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Ein Beispiel der drastischen Missachtung dieser Solidarität stellte dagegen die instrumentale, rassistische und rein ökonomische Betrachtung des Menschen in der Naziideologie dar. Der Mensch besitzt absolute Rechte, die ihm durch ein transzendentales Sein, das alle Rationalität übersteigt, garantiert sind. Dieses transzendentale Sein ist zugänglich und verständlich in Chiffren der Philosophie, der Religion und der Kunst. Ohne diese metaphysische Dimension sinken die drei anderen zu politischen Slogans ab, die je nach politischem Nutzen gebraucht werden.

 

 

Die jeglicher Vision beraubte Politik nutzt die Gunst der Zeit, die Interessen ihrer Klientel

zu artikulieren. Was juristisch, moralisch und politisch vertretbar ist, kann sich öffentlich zu Wort melden. Nur ist der Bau des Zentrums gegen Vertreibungen in erster Linie keine juristische, keine moralische und keine politische Aufgabe, sondern ein Anliegen der Menschen, die das menschliche Leid nachvollziehen können und wollen. Die findet man nicht unter den Politikern in Warschau und Berlin, sondern an beiden Oderseiten, nämlich unter denen, die „zwei Seelen in einer Brust“ tragen.